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Hintergründe

Kriminalitätsprävention
durch Lerncoaching

Dr. Mario Bachmann lehrt und forscht an der Universität zu Köln in den Bereichen Straf- und Strafprozessrecht, Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug.

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SOZIALE UNGLEICHHEIT: MERKMALE. FOLGEN. LÖSUNGEN.

Große Schlucht zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Grundsätzlich können Kinder aus einkommensschwachen Haushalten bei Vorliegen entsprechender Voraussetzungen einen staatlichen Zuschuss für die Inanspruchnahme einer Lernförderung aus dem Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) erhalten.

Die Praxis zeigt jedoch ein anderes Bild, indem diese Schüler nach wie vor deutlich gegenüber Haushalten mit höherem Einkommen benachteiligt sind. Trotz ohnehin schon schlechterer Bildungsvoraussetzungen erhalten sie sehr häufig keine adäquate, regelmäßige und qualifizierte Lernförderung. 

Ausgrenzung durch falsche Bürokratie

Im aktuellen Endbericht zur Evaluation des Bildungspakets vom Bundeministerium für Arbeit und Soziales werden eklatante Mängel bei der Bewilligung von Lernförderung aufgezeigt. Zwei der zahlreichen Merkmale sozialer Ungleichheit bei der Umsetzung des Bildungspakets werden im Folgenden kurz vorgestellt.

Das erste Merkmal:
Lernförderung wird gemäß gesetzlicher Grundlage nur dann bewilligt, wenn sie erforderlich ist, um „die nach den schulrechtlichen Bestimmungen festgelegten wesentlichen Lernziele zu erreichen (§ 28 Abs. 5 SGB II).“ Die restriktive Auslegung dieser Norm führt in der Praxis dazu, dass Lernförderung i.d.R . nur genehmigt wird, wenn eine Versetzung in die nächste Klassenstufe gefährdet ist.

Denkt man diese irrsinnige Interpretation konsequent weiter, dann kann ein Viertklässler mit einem ausreichenden Zeugnisdurchschnitt (4), ohne Versetzungsgefährdung, keine Lernförderung erhalten – der Übergang auf eine Hauptschule ist somit vorprogrammiert und gleiche Bildungs- und Erwerbslebenschancen bleiben ein Märchen. Eine äußerst sinnvolle Lernförderung in den Sommerferien zur Aufarbeitung der Wissenslücken ist nach dieser Interpretation, mit bereits erfolgter Versetzung in die nächsthöhere Klassenstufe, für diese Kinder ebenfalls nicht möglich.

Ein zweites Merkmal:
Die Feststellung, ob eine Versetzung und somit das Erreichen des Lernziels gefährdet sei, könne laut Interpretation der meisten Fallstudienkommunen aus dem vorliegenden Endbericht nur dann erfolgen, wenn das Schuljahr bereits erheblich fortgeschritten sei. Die Bewilligung einer Lernförderung im ersten Schulhalbjahr kann dieser Logik zu Folge also nur eine Ausnahme sein.

In den untersuchten Fallstudien wurde durch das Bundesministerium festgestellt, dass viele Schulkinder aus einkommensschwachen Familien daher, wenn überhaupt, nur wenige Monate im Schuljahr Lernförderung erhalten. Hintergrund ist die Annahme der leistenden BuT-Behörden, dass sich erst im fortgeschrittenen Laufe des Schuljahres, i.d.R. im 2. Schulhalbjahr, zeigen könne, ob eine akute Versetzungsgefährdung vorliege.

Als Folge zeigen sich flickenteppichartige Lernförderungspraktiken, durchzogen von langen förderungsfreien Zeiten. Einkommenssolide Familien hingegen ermöglichen ihren Kindern eine regelmäßige Lernförderung, die sich oftmals über das gesamte Schuljahr, oder gar mehrere Schuljahre erstreckt, um ein bestmögliches Abitur für ihr Kind zu gewährleisten – ein Wunsch von dem einkommensschwache Familien für ihre Kinder nur träumen können.

Gewalt: Eine Folge sozialer Ungleichheit.

Dabei zeigen aktuelle wissenschaftliche Befunde einen signifikanten Zusammenhang der Risikoerhöhung für interpersonale Gewalt zwischen mangelndem Schulerfolg, schlechter Lernmotivation und Schulverweis sowie geringer sozialer Unterstützung auf. Bei den Jugendlichen zwischen 12-14 Jahren tritt sogar eine verstärkte Verschiebung der Gewichtung risikoerhöhender Faktoren hervor, sodass Schulleistungen und weitere soziale Faktoren gerade in dieser Altersgruppe besonders in den Vordergrund rücken.

Somit verstärkt soziale Ungleichheit im Bildungssektor mittelbar das Problem von Jugendkriminalität und zementiert die Tendenzen zu einer Zweiklassengesellschaft, indem Bildungsaufstieg und Chancengleichheit in der Realität nicht existieren und eine leere Floskel bleiben.

Lösungen

Im Endbericht zur Evaluation des Bildungspakets wird daher empfohlen, dass das Bildungs- und Teilhabepaket als sinnvolle Zukunftsinvestition auch den Bildungsaufstieg gewährleisten solle. Ferner müsse die Beantragung der Lernförderung zu jedem Zeitpunkt im Schuljahr erfolgen können.

Die Umsetzung dieser Empfehlungen muss man als essentiell erachten, um eine chancengleiche Gesellschaft aufbauen zu können, in der es auch Menschen aus bildungsfernen und einkommensschwachen Schichten ermöglicht wird eine gute Bildung zu erlangen, welche die Grundlage für ein anschließendes auskömmliches Erwerbsleben bildet.

Gerade ein individuelles Lerncoaching ist geeignet verschiedene risikomildernde Faktoren für die Entwicklung von Gewalt zu stärken und Jugendlichen somit eine Perspektive zu geben. So zählen insbesondere hohe Sprachfertigkeiten, aktives Bewältigungsverhalten und Selbsthilfefertigkeiten als bedeutende Resilienzfaktoren, denen eine hohe Präventivkraft beigemessen wird.

Speziell die Entwicklung der Sprachfertigkeiten und das Trainieren der Selbsthilfefertigkeiten (z.B. das Erlernen von Lerntechniken) bedürfen einer individuellen Lerncoachingsituation, die über einen regelmäßigen, soliden Zeitraum aufrechterhalten werden muss und so prädestiniert ist signifikante Ergebnisse hervorzurufen.

Abschließend zeigen Ergebnisse kriminologischer Forschung weitere Schutzfaktoren innerhalb des sozialen Umfelds auf, die im engen Zusammenhang mit professioneller Lernförderung einhergehen können. So wirken insgesamt positive Schulerfahrungen als auch soziale Unterstützung (z.B. realisierbar in Form einer barrierearmen, unkomplizierten und regelmäßigen Ermöglichung von Lernförderung durch leistende BuT-Behörden) als bedeutende risikomildernde Faktoren gegen Jugendgewalt.

Quellen:
Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Evaluation der bundesweiten Inanspruchnahme und Umsetzung der Leistungen für Bildung und Teilhabe. Schlussbericht, 2016

Stiftung Deutsches Forum für Kriminalprävention: Gelingensbedingungen für die Prävention von interpersonaler Gewalt im Kindes- und Jugendalter, 3. Auflage, 2012.